Kampf um mehr Vernunft
Der Berliner Kurier macht vor, wie man die Stimmung anheizt, anstatt zwischen den Parteien zu vermitteln. Es geht um einen Facebook-Beitrag einer Berliner Politikerin, die sich über Radfahrer auf Gehwegen beschwert. Mike Wilms greift das in Berlin sehr beliebte Thema über den aggressiven Kampfradler und seine hilflosen Opfer, Fußgängern und Autosfahrern, direkt auf. Von der Schlagzeile bis zum letzten Absatz macht Wilms scheinbar auch seiner Wut Luft und kramt dabei so ziemlich jedes schlechte Klischee über Radfahrer, korrigiere: rücksichtslose Rad-Rambos, aus der Schublade. Das Internet reagiert Wilms zufolge schnell, so schnell wie ein angetrunkener Radler auf dem Weg zum Party-Kiez, und einhellig. Immerhin 103 Likes zählte der Beitrag binnen weniger Stunden. Und wenn darunter ein linker und eine grüne Bezirksbürgermeisterin zustimmen, muss am Rad-Rambo ja etwas dran sein, nicht wahr?
Der nächste Absatz, eingeleitet von der Feststellung, dass Radfahrer natürlich auch keine besseren Menschen seien, führt dann die gesammelten Schicksale der gebeutelten Berliner auf, die von Radfahrern von den Bürgersteigen gedrängt und beschimpft werden. Wilms nennt das „ausgewogenes Denken“. Wenigstens räumt er dann noch ein, dass dem Berliner Autofahrer die höchste Aggressivität in Deutschland bestätigt wird.
Wilms schlägt mit seiner undifferenzierten Beobachtung in die gleiche Kerbe, die in der auto-affinen Öffentlichkeit sehr gut ankommt. Radfahrer werden als in erster Linie aggressiv und rücksichtslos hingestellt. Das Problem ist nur: Wer die Diskussion mit diesem Vokabular führt, beschwichtigt damit nicht unbedingt die Gemüter.
Ja. Radfahrer nutzen mitunter den Bürgersteig, obwohl die Straße auch gut befahrbar ist. Wenn ein Auto auf dem Radweg parkt, wird das noch nicht mal als Kavaliersdelikt angesehen, sondern als Notwendigkeit angesichts der notorischen Parkplatznot. Eine Parkplatznot, die sicherlich nicht durch Radfahrer hervorgerufen wird. Und wer kennt Sie nicht, die marodierenden Touristen-Gruppen, die ohne Umsicht über die Radwege flanieren?
Ja, Radfahrer fahren mitunter bei Rot über die Ampel. Welcher Autofahrer oder Fußgänger macht das nicht? Zumal man über die Bedeutung roter Ampeln für Radfahrer trefflich streiten kann, wie sogar die Huffington Post findet.
Auge um Auge, Zahn um Zahn?
Wenn du das machst, darf ich das auch? Nein. Das soll keinesfalls die Verstöße rechtfertigen, die Radfahrer begehen sondern nur verdeutlichen, dass keiner frei von Fehlern ist. Das Bonmot der „gegenseitigen Rücksichtnahme von ALLEN“, so der Köpenicker SPD-Politiker Robert Schaddach, wird von Wilms dann ja wenigstens noch mal zitiert. Aber da ist es schon fast zu spät und dem jetzt schon vor Wut schäumenden, autofahrenden Leser wird noch ein Bild zur Garnitur gereicht. Darauf zu sehen, der „rücksichtslose“ Radfahrer der verbotenerweise über den „Gehweg brettert“.
Bei all der Stimmungsmache wird oft vergessen, welchen Dienst der Radfahrer den anderen Verkehrsteilnehmern erweist. Während sich die Automobilbranche ob des glimpflichen Ausgangs des Diesel-Skandals noch erleichtert die Hände reibt, der Berliner Senat über die Ausweitung der Parkplatzbewirtschaftung nachdenkt und Verkehrsforscher überlegen, wie sie den Verkehrskollaps in den Griff bekommen, leistet der Radfahrer seinen ganz eigenen Beitrag. Die Bewegung an der frischen Luft fördert die Gesundheit, entlastet den überlasteten Verkehr und um Parkraum zu sparen, kann ich mein Rad an die Wand hängen – wer schafft das schon mit 1,5 Tonnen Stahl?
Ich will keine Dankbarkeit, sondern Respekt
Anstatt die ewige Leier über die spannungsgeladenen Zustände auf den Berliner Straßen zu bedienen, die ja scheinbar immer noch vorzüglich ankommt, wie wäre es mal mit etwas Diplomatie? Man könnte dem Autofahrer bewusst machen, dass der Radfahrer neben ihm ein Auto weniger vor ihm an der nächsten roten Ampel bedeutet. Wie wäre es mit Aufklärung anstatt Aufwiegelung, um den Respekt untereinander zu fördern? Es gibt keinen Kampf auf der Straße. Niemand will dem Autofahrer sein Lieblingsspielzeug streitig machen.
Ich verlange keinen Orden für den Dienst an meiner Mutterstadt. Denn ich fahre nicht für jemand anders mit dem Rad, sondern für mich. Ich verlange aber das, was ich jedem anderen Verkehrsteilnehmer auch zugestehe. Und das wäre, um mit den Worten der großen deutschen Hip-Hop-Gruppe „Fettes Brot“ zu schließen: keine Dankbarkeit, sondern Respekt.